Blogbeitrag

“Die Kultur geht am Bettelstock”

Boyens Medien Brunsbüttel (Redakteur: @Oliver Tobolewski) Interview mit Stefan Zimmermann

 

Theater fehlt. Nicht nur den Zuschauern, auch den Darstellern. Für sie endete die vergangene Saison abrupt, für einige wenige beginnt sie in Orten mit Modellprojekten wieder. Doch die Zukunft der Tourneetheater steht weiter auf der Kippe.

Es sei eine Reise ins Paradies, „bei uns ist Söderismus“, sagt Stefan Zimmermann, Theatermacher und Chef des Münchener A-Gon-Theater, zwar mit einer gewissen Fröhlichkeit, aber durchaus mit ernstem Hintergrund, als er im Saal des Elbeforum zur Probe eintrifft. Es bedeute ihm sehr viel, wieder spielen zu können. Eine Ausnahme. Wenn Zimmermann ansonsten auf seinen Tourneeplan schaut, sieht er seit November lediglich Absagen. Zuletzt brachten sein Ensemble und er Nathan der Weise im Siegener Apollo-Theater auf die Bühne – damals haben sie nicht gewusst, dass sie monatelang nicht auftreten werden dürfen, haben geprobt und Neuproduktionen auf den Weg gebracht, der Shutdown jedoch wurde immer wieder um weitere Wochen verlängert. „Die Saison endete abrupt“, obwohl es in den Theatern gute Hygienekonzepte gegeben habe.

In Brunsbüttel trat das Ensemble nun mit „Mr. President First“ auf, einem Stück, das sie zuletzt vor der Pandemie aufgeführt hatten. Aber das nicht an Aktualität verloren habe, sagt Max Volkert Martens, der die Titelrolle spielt und ursprünglich aus Itzehoe kommt. Das Stück ist vieles, eine Komödie, eine Satire, ein Polit-Thriller, aber keine Dokumentation. Eine Gruppe von Milliardären in den USA gründet eine Partei und macht den einflussreichen Fernsehstar Edward Tishler (Max Volkert Martens) zu ihrem Präsidentschaftskandidaten. Geschickt werden die neuen Medien genutzt, um ihn zu pushen. „Die Figuren gibt es schon in der Realität irgendwo, aber es ist eine Menge Fiktion dabei“, so Zimmermann. Es gehe um die Mechanismen des Populismus.

Das Stücke spiele zwar in den USA, aber dennoch gebe es Parallelen zu Deutschland – gerade im Wahljahr. Letztlich sei es ein schleichender Beginn und der Punkt, an dem Populismus den Diskurs übernimmt, kaum noch auszumachen – „welche Demokratie ist davor schon gefeit?“, so Martens, dem es sehr viel bedeutet, endlich wieder einmal spielen zu können. Theater habe ihm gefehlt. Es gehe um die Sehnsucht Gespieltes sehen und die Sehnsucht wieder auf der Bühne stehen zu dürfen – eine Ambivalenz jedoch  angesichts der hohen Inzidenzen bleibt.

Aus diesem Grund seien solche Modellprojekte wie im Brunsbütteler Elbeforum wichtig, um eine wissenschaftliche Evidenz zu schaffen und zu zeigen, dass die Hygienekonzepte in den Theatern gut sind, sagt Zimmermann, der für viel Sicherheit ist – diese sei in den Spielstätten leichter zu gewährleisten als in der überfüllten Münchener U-Bahn, für die er ebenso Konzepte vermisst wie für den Erhalt der Kultur.

Seine Theaterkompagnie A-Gon habe anfangs keine Hilfen bekommen, ist lange Zeit unter dem Radar geflogen und als dann doch Gelder aus Töpfen des Bundes und des Landes Bayern flossen, wurden diese gegeneinander aufgerechnet. Die Summe, die übrig blieb, sei eigentlich zu gering, um ein Unternehmen im „Stand-by-Betrieb“ zu halten.

Wenn sein Theater auf Tournee ist, spielen die Darsteller zwischen September und Mai 200 Mal in den Häusern, die kein eignes Ensemble haben, die sich Stücke einkaufen – wie das Elbeforum. Von den bespielten Häusern gebe es in der gesamten Republik noch 400, sagt Zimmermann, der um die Zukunft seiner Branche, um die Zukunft des Theaters in der Fläche aus zweierlei Gründen fürchtet: ein möglicher Spardruck in den Kommunen durch weniger Einnahmen wegen der Pandemie und eine Existenzkrise des Tourneetheaters selbst. Es gehe um den Zugang von Millionen Menschen zur Hochkultur.

Zimmermann wünscht sich, dass daran gearbeitet werde, das Theater in der Fläche zu erhalten und damit auch die Fragen zu beantworten, welchen Wert es hat, welche Konzepte gut wären. Solange Theater eine rein freiwillige Ausgabe ist, bleibe es ungeschützt vor dem Rotstift der Politik.

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